Interview mit unserem Landesleiter Ralf Wahn von SWR Aktuell: „Es gibt eine verheerende Nichtschwimmer-Situation“

Auch in diesem Sommer hat es schon einige tödliche Badeunfälle in Rheinland-Pfalz gegeben. Ralf Wahn, seit Jahrzehnten bei der Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Rheinland-Pfalz, spricht im SWR Aktuell-Interview über besondere Risiken in Badeseen, Deutschland als Nichtschwimmer-Land, und warum Corona die Situation verschärft hat.

SWR Aktuell: Herr Wahn, wie kann ein junger Mensch, der schwimmen kann, in einem harmlos erscheinenden Badesee von einer Minute auf die andere ertrinken?

Ralf Wahn: Womöglich hat er lange in der prallen Sonne gelegen, dann geht er ins kalte Wasser, es gibt einen kleinen Kälteschock, es wird ihm schummrig. Und dann merkt er, dass er die vielleicht 40 Meter zum Ufer nicht mehr so leicht zurückschafft.

Und dann?

Es kann Krämpfe geben, in den Waden oder in den Oberschenkeln. Äußerst unangenehm. Vielleicht wurde vorher lange gefeiert, Alkohol war im Spiel, und der Kreislauf kollabiert. Oder es kommt Panik in dem verzweifelten Versuch auf, den Kopf über Wasser zu halten. In diesem Kampf atmet man immer wieder Wasser ein, dazu der ständige Hustenreiz, und letztlich droht man dann zu ersticken.

Dass die Strömung in Flüssen gefährlich ist, hat sich herumgesprochen. Was macht einen Badesee so unberechenbar?

Man kann in natürlichen Gewässern den Boden nicht sehen. Man weiß nicht, was da herumliegt. Unrat, Scherben, spitze Steine, an denen man sich schon beim Reingehen verletzen kann.

Was raten Sie?

Eine Grundregel: Mindestens zu zweit ins Wasser, niemals allein. Am besten so, dass das auch am Ufer noch jemand mitbekommt und im Auge behält.

Wie schnell können Sie einen Ertrinkenden retten?

An bewachten Gewässern ist ein Rettungsschwimmer direkt vor Ort. Aber auch in Rheinland-Pfalz gibt es immer mehr inoffizielle Badegewässer, die nicht bewacht sind. Das nutzen gerade jetzt im Sommer viele Jugendliche und Familien, auch weil die Wasserqualität dieser Seen und Flussarme viel besser geworden ist.

Wie können Rettungsschwimmer einem Ertrinkenden überhaupt helfen?

Am besten vom Ufer aus, durch Zuwerfen eines Rettungsballs oder Wurfsacks zum Festhalten und Zurückziehen. Geht das nicht, und muss ein Retter hinausschwimmen, wird es schwieriger. Denn ein Ertrinkender ist im Überlebenskampf. Er wird sich instinktiv an den Hals des Retters klammern, dabei enorme Kräfte entwickeln und so womöglich auch den Retter in Lebensgefahr bringen. Deshalb versucht man, auf Distanz zu bleiben und zur Not mit einem Stock, Schirm oder Handtuch dem Betreffenden herauszuhelfen. Ist er noch nicht in Panik, können Rettungsschwimmer ihn mit dem Fessel- oder Achselgriff an Land schleppen. Ist jemand wegen Kreislaufproblemen einfach abgetaucht, und ist die Ortung schwierig, dann sind natürlich auch Rettungsschwimmern Grenzen gesetzt.

Als eine Ursache für viele tödliche Badeunfälle gilt, dass immer weniger Menschen richtig schwimmen können. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Es gibt seit vielen Jahren eine verheerende Nichtschwimmer-Situation. Wir gehen davon aus, dass mindestens jeder Dritte ein unsicherer oder gar kein Schwimmer ist – und das unabhängig vom Alter.

Woran liegt das?

Bäder schließen oder sind marode. Für Schulen wird es schwieriger, Schwimmunterricht anzubieten. Oft ist die Entfernung zum nächsten Bad so weit, dass sich eine Doppelstunde Schwimmen gar nicht lohnt. Halbe Stunde Anfahrt, halbe Stunde Wasser, halbe Stunde zurück. Auch für Verbände wie uns ist es schwierig, vor allem in Hallenbädern Trainingszeiten zu bekommen. Durch Corona hat sich das Ganze noch drastisch verschärft. Hallenbäder haben meines Wissens nur wenige inzwischen wieder geöffnet. Wir hoffen, dass es ab September mehr werden, wenn es denn die Infektionslage zulässt.

Wenn weniger Leute schwimmen lernen, gibt es dann auch weniger Rettungsschwimmer?

Ja, es gibt einen Mangel. Wenn ich an die Siebziger- und Achtzigerjahre Jahre denke, da gab es viel mehr Interessenten. Und in bestimmten Institutionen, zum Beispiel Bundeswehr oder Polizei, war eine Rettungsschwimmer-Ausbildung teils verpflichtend. Das ist heute nicht mehr ganz so konsequent. Im zivilen Bereich haben wir immer noch die Interessenten, die in Richtung Schwimmmeister, Lehrer oder Erzieher gehen, und die ihre Kinder und Jugendlichen dann selbst betreuen können. Aber klar ist: Wir haben einen enormen Bedarf an Nachwuchs und Ausbildern. Nur läuft das auch bei uns zu 100 Prozent ehrenamtlich. Und wie in anderen Bereichen auch: Ehrenamt läuft, aber die, die bereit sind, Verantwortung im Ehrenamt zu übernehmen, die müssen Sie erst einmal finden.

 

Wie werde ich denn Rettungsschwimmer?

Es gibt das Rettungschwimm-Abzeichen in Bronze, Silber und Gold. Ab 12 Jahren kann man schon Bronze machen. Damit hat man die sogenannte Rettungsfähigkeit erworben, die ist zum Beispiel für Lehrer oder Erzieher notwendig. Und mit Silber ab 14 Jahren können Sie schon Badeaufsicht betreiben.

Und was braucht es zum Beispiel für Bronze?

15 Meter Streckentauchen, Tieftauchen 2 bis 3 Meter, 200 Meter Schwimmen, 100 Meter Schwimmen in Kleidung, Befreiungsgriffe erlernen, Abschlepptechniken und einiges mehr. Das kann man mit halbwegs körperlichen und sportlichen Voraussetzungen eigentlich ganz gut schaffen.

Quelle: SWR Aktuell; INTERVIEW MIT DEM LEITER DER DRK-WASSERWACHT:  „Es gibt eine verheerende Nichtschwimmer-Situation“; https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/rettungsschwimmer-drk-interview-100.html 

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